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Volksmusik in der Schweiz bis 1800

Unsere alte Volksmusik hat absolut nichts gemeinsam mit der bekannten "Ländlermusik", die sich im 19.Jh. in der Schweiz ausbreitete und viel echtes und eigenständiges Volksgut verdrängte. Es müsste uns daher brennend interessieren, wie denn unsere eigene Volksmusik früher geklungen hat. Die Forschung hat zwar schon viele Fenster zur Musikwelt unserer Vorfahren geöffnet, zugleich aber auch viele neue Fragen aufgeworfen, die uns zur Bescheidenheit mahnen: Wir wissen eigentlich noch recht wenig ...

Sicher ist, dass unsere Volksmusik schon immer Einflüsse aus den umliegenden Ländern aufgenommen hat und sich eher an kulturellen Räumen als an den stets sich ändernden politischen Grenzen orientierte. Das Söldnerwesen und die regen Handelsbeziehungen trugen weiteres zum Kulturaustausch bei. Dennoch gibt es einige bei uns gewachsene Musiktraditionen, die glücklicherweise bis heute überlebt haben, so z.B. der Muotathaler "Juuz", die Innerschweizer Büchelmelodien oder die "Zäuerli" aus dem Appenzellerland. (Diese alten Formen sind auf Tonträgern bereits gut dokumentiert).

Andererseits sind zahlreiche Zeugen alter Volksmusik unwiederbringbar verlorengegangen, was neben dem sich ändernden Musikgeschmack nicht zuletzt auch auf die Auswirkungen der Reformation mit ihrer systematischen Unterdrückung der Instrumentalmusik zurückzuführen ist (A.-E. Cherbuliez).

In überlieferten Melodien erscheint auffallend häufig der Tritonus. Diese übermässige Quart ist auch in der lydischen Tonart enthalten und gewissermassen auch in der Naturtonreihe als "Alphorn-fa". Bei Musiktheoretikern war dieses "teuflische" Intervall (tritonus diabolus) allerdings verpönt, es wurde sogar von der Kirche verboten.

Klangbeispiel "Tritonus-Intervall":

F.F. Huber beschrieb noch Mitte des 19. Jh. die erhöhte Quart (drei aufeinanderfolgende GANZtöne; z.B. c - fis) als charakteristische Erscheinung in den Gesängen und Musikstücken der schweizerischen, vorab appenzellischen Alpenbewohner. Dazu bemerkte er, dass diese früher noch viel auffälliger hervorgetreten sei: "Wahrscheinlich mildert der Gesang in den Schulen diese leiterfremde Härte und weisst den Gang der Melodie mehr in das Beet der bedingenden Harmonie."

 

Liederbüchlein der Maria Josepha Barbara Brogerin

In der erst vor einigen Jahren wiederentdeckten und neu herausgegebenen Liederhandschrift von 1730 sind insgesamt 60 Lieder mit allen Originalmelodien enthalten. Sie geben uns Einsicht in das Liedgut einer bürgerlichen Frau (die später ins Kloster eintrat) aus dem appenzellischen Gonten. Es zeigt sich, dass zu dieser Zeit ein völlig anderes Liedrepertoire vorhanden war, das nichts mit den heute beliebten und bekannten Appenzellerliedern gemeinsam hat. Die Lieder(rund die Hälfte davon Unikate) stammen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum und reichen thematisch von geistlich-religiösen Liedern über solche mit besinnlichem Inhalt, Klage- und Liebeslieder, zeit-, gesellschaftskritische und moralisierende Gesänge, Lieder zur Geselligkeit, Scherz-, Trink- und Spottlieder (mit z.T. recht deftigen Texten), bis zu Jagd- und Schäferliedern und Totentänzen. Den Schluss bildet die älteste textierte Aufzeichnung des Appenzeller "Kue reien", welcher das Liederbüchlein gleichsam heimatlich abrundet.

Kühreihen

Der Ursprung der Kühreihen verliert sich im Dunkel der Vergangenheit, sicher gehören sie jedoch zu den ursprünglichsten und eigensten Formen unserer Volksmusik. Es wurde auch eine ganze Anzahl von Büchern und Aufsätzen über Kühreihen geschrieben, ohne dass es jemandem gelungen wäre, ihn klar zu definieren. Die populärste Version erklärt ihn als Eintreibe-Ritus für die Herde, bei dem die Kühe tatsächlich eine Art "Reigen" vollführen.
Viele Komponisten (von Sweelinck bis Liszt) erkannten die Einzigartigkeit dieser Melodien und liessen sich durch sie inspirieren.
Die sprichwortartige Redewendung "einem den kuoreien pfyfen" wird 1531 erstmals schriftlich festgehalten und zeigt gleich zweierlei: Der Kühreihen war schon damals etwas allgemein Vertrautes; der Hinweis, dass der Kuhreihen "gepfyffen" wurde, deutet auf dessen instrumentale Ausführung durch Pfeifen (Sackpfeife, Schalmei, Querpfeife) hin. Die Älpler mögen diese Instrumente mit ihren kehligen Stimmen imitiert haben (Muotathaler "Jüüzli"; Appenzeller "Zäuerli"), was dann zur einseitigen Betrachtungsweise führte, der Kühreihen sei immer gesungen worden. Tatsächlich tauchen eigentliche Texte zu diesen Melodien erst am Anfang des 18. Jh. auf.
Die ungeheure Wirkung, welche die Kühreihen schon früher auf die Menschen ausübten, zeigt sich u.a. im Hinweis von T. Zwinger (1710), dass Schweizer Söldner in fremden Diensten an Heimweh erkrankten oder desertierten, wenn solche Melodien erklangen. Das Pfeifen und Singen der Kühreihen war denn auch bei Todesstrafe verboten.
Das Heimweh ("Nostalgie") wurde von Ärzten erstmals bei Schweizer Söldnern beobachtet. Weil man glaubte, den an feine Bergluft gewohnten Älplern würden im Flachland die "Äderlein zusamentrucket" wurde sogar erwogen, für die Erkrankten hohe Türme zu errichten (!).

Instrumentarium

Die alten Musikinstrumente waren keineswegs standardisiert wie heute, weder in Grösse, noch in Form oder Stimmung. Jedes Instrument entsprach den individuellen Vorstellungen des Benützers. Viele Musikanten mögen ihre Instrumente auch selbst gebaut haben, wenn nicht ein örtlicher Handwerker diese als Nebenerwerb herstellte.

Die meisten Volksmusikinstrumente waren diatonisch und ihr Tonumfang bedeutend kleiner als bei den heutigen Instrumenten. Komplizierte Mechanismen wie Klappen, Feinstimm-Einrichtungen etc. existierten damals noch nicht.

Der nasale, obertonreiche Klang dieser Instrumente erzeugt im Zusammenspiel eine intensive Mischung von hoher Transparenz, wie wir sie heute noch aus der Volksmusik südlicher oder orientalischer Länder kennen.

Der Wandel zu einem runden und weichen Klangbild vollzog sich in der Volksmusik etwa um 1800; dem entsprach auch das Aufkommen neuer Instrumente wie Klarinette und später der Handorgel. Beide verdrängten in der Folge ihre Vorläufer, die zudem schwieriger zu handhaben waren. Dazu schreibt Szadrowsky 1868 :

"Der jüngere Nachwuchs liebt einen Ersatz für die alten und wirkungsvollen Hirteninstrumente, der in der That bedauernswerth ist. Es wird nämlich grosses Vergnügen an der s.g. 'Handharmonika' gefunden, die auch von den Sennen und Hirten mit einer verzweiflungsvollen Hartnäckigkeit in der Ausdauer gepflegt, d.h. 'gedruckt' wird - spielen oder gar musiciren kann man eine solche 'Hantirung' doch nicht nennen."

Eine weitere Eigenheit der alten Volksmusik sind die eher kleinen Besetzungen. Zwei, drei Instrumente reichten bereits für eine lüpfige Tanzmusik, eine starke Akzentuierung des Rhythmus' war dabei sehr wichtig. Offenbar bestand lange Zeit kein Bedürfnis nach einer Bass-Begleitung; das dreisaitige Bassett (=kleine Bassgeige) kam in der Volksmusik erst kurz vor 1800 auf.

Während der Instrumentierung unseres CD-Repertoires tauchte oft das Bedürfnis nach einer volleren und abwechslungsreicheren Gestaltung der einzelnen Stücke auf. Es bedurfte intensiver Diskussionen, um der Gefahr einer gefälligen "Ueber-Arrangierung" weitgehend auszuweichen.

Quellen

Volksmusik wurde früher meistens mündlich weitergegeben, deshalb finden wir nur wenige schriftliche Aufzeichnungen. Oft verdanken wir eine Ueberlieferung dem Umstand, dass eine Tanzmelodie für ein bestimmtes Instrument der Kunstmusik bearbeitet wurde. So sind beispielsweise Lautentabulaturen des 16.Jh wichtige Fundorte. Andere Melodien wurden zur Illustration von Reiseberichten, Wörterbüchern etc. verwendet. Eine eigentliche Sammeltätigkeit begann um 1800, als das Interesse der Forscher und der noblen Gesellschaft an der Bergwelt und am einfachen Landleben erwachte. Meist handelte es sich dabei jedoch um gepflegte, beschönte Aufzeichnungen, oft sogar für Saloninstrumente wie Klavier, Gitarre o.a. arrangiert. Der Zeitgeist schrieb stets mit; Aenderungen nach dem Gusto der Herausgeber (wie z.B. das Streichen des Tritonus) waren keine Seltenheit.

Lieder und Balladen sind bedeutend häufiger überliefert, weil ihre langen Texte schon früh aufgeschrieben oder sogar gedruckt wurden. Viele dieser Lieder sind im ganzen deutschsprachigen Raum bekannt und erfuhren in der Schweiz lediglich eine regionale Färbung.

Die umfassendste Sammlung wurde von L.Erk und F.M. Böhme in Deutschland angelegt; von ihnen wurden auch die Liedmelodien sehr sorgfältig recherchiert. Dies ist umso wertvoller, als die originalen Melodien in den meisten bekannten Sammlungen des 19.Jh. fehlen.

Über die Art, wie bei uns früher im Volk musiziert wurde, gibt uns eine reichhaltige Ikonographie Auskunft. Zeitgenössische Darstellungen zeigen verschiedene mögliche Besetzungen, aber auch das Umfeld der Musikanten.

Weitere Hinweise geben uns die Gerichtsmanuale, welche oft in beredter Form (und unter genauer Benennung der Instrumente) von Musikanten berichten, die wegen unerlaubten Aufspielens gebüsst wurden. Sackpfyffer, Gyger und Lyrer finden sich dabei in "munterer" Gesellschaft mit Gauklern und umherziehendem Volk. Daraus lässt sich auch ablesen, auf welch niedrige soziale Stufe die Spielleute damals gestellt wurden.

Bearbeitungen

Der Umgang mit den historischen Quellen erfordert sorgfältiges und kritisches Vorgehen. Wo möglich, werden mehrere verschiedene Zeugnisse miteinander verglichen, um die Gefahr von Fehlern oder Missdeutungen zu verringern. So zeigt uns z.B. die in vier Auflagen erschienene Sammlung Schweizer Kühreihen, wie selbst kleine Retouchen den Charakter einer Melodie einschneidend verändern können.

Volkstänze, die in den Tabulaturen des 16.Jh. besonders für das Spiel auf der Laute eine kunstvolle Bearbeitung erfahren haben, sind von uns in eine volksmusikalisch glaubwürdige Fassung zurückgeführt worden.

Wo uns die Quellen zu wenig deutlich Auskunft geben, haben wir auch hypothetisch rekonstruierte Lösungen verwirklicht, die uns nach dem heutigen Wissen vertretbar erscheinen.

Die Kenntnis des historischen Instrumentariums und Quervergleiche mit alter Volksmusik anderer Länder geben uns dazu wichtige Anhaltspunkte. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Improvisation und Variation schon immer wichtige Elemente in der Volksmusik waren.

Früheres Musizieren darf man sich ohnehin nicht in starrer Form vorstellen; die Besetzung richtete sich nach dem Geschmack der Musikanten oder dem verfügbaren Instrumentarium. Zudem beherrschten die Musikanten oft mehrere Instrumente, vor allem die von der Obrigkeit besoldeten Stadtpfeifer. Sie waren es auch, die neben ihren Pflichten gerne an Tanzfesten aufspielten.

Alte Volksmusik wurde vermutlich meist einstimmig gespielt, wobei allein durch die Mischung verschiedener Instrumente oder deren Oktavierung ein reiches Klangbild entstand. Eine einfache Art der Mehrstimmigkeit ergab sich bereits durch die Verwendung eines Borduns (ausgehaltener Grundton) z.B. bei Sackpfeife und Drehleier. Weitere Formen der Mehrstimmigkeit waren harmonisierende Haltetöne ("Gradhäbe") oder parallele Stimmführungen. Eine eigentliche Polyphonie im heutigen Sinne darf für die alte Volksmusik als eher unwahrscheinlich angenommen werden.

Mit der CD "Tritonus - Alte Volksmusik in der Schweiz" liegt erstmals ein grösserer, praktischer Beitrag zur Geschichte der Schweizer Volksmusik vor 1800 vor. Wir hoffen, damit der Volksmusik-Forschung einen Anstoss zur weiteren Beschäftigung mit diesem Thema gegeben zu haben.


Bibliographie zu den Seiten "Instrumente" und "Volksmusik":

Cherbuliez, A.-E.: Die Schweiz in der deutschen Musikgeschichte. Frauenfeld und Leipzig 1932

Duthaler, G. : Die Melodien der Alten Schweizermärsche: In: SAVk 60. Basel 1964

Erk, L.- Böhme, F.M. : Deutscher Liederhort. Band I - III.Leipzig 1893/4.

Gassmann, L. : Was unsere Väter sangen. Basel 1961.

Hostettler, U. : Anderi Lieder. Bern 1979.

In der Gand, H.: Pfeiferweisen aus dem Eifischtal (Val d'Anniviers). In: SAVk 31, Basel 1931.

Volkstümliche Musikinstrumente der Schweiz. In: SAVk 36, Basel 1937/8.

Iselin, L. : Liederhandschrift. Basel 1557. Universitätsbibliohek Basel, F. IX.23.

Manser, J. / Klauser, U.: «Mit wass freüden soll man singen», Liederbüchlein der M.J.B. Brogerin (Appenzell 1730), Band Nr. 5 der Innerrhoder Schriften, Neuauflage, Appenzell 2003

Rindlisbacher, H. : Dudelsäcke - Sackpfeifen - Böcke - Böögen - Pauken. In: SAVk 73, Basel 1977

Röseligarte: Otto v.Greyerz. Bd. 1 - 6, Bern 1908 - 1925.

Samedaner Lautentabulatur:Johannes von Salis,1563.Fundaziun Planta,Samedan,Ms.M 1.

Sammlung von Schweizer Kühreihen.: Vier Ausgaben: Bern 1805, 1812, 1818 und 1826.

Schilling, D. : Schweizer Bilderchronik. Luzern 1513. Faksimile-Ausgabe, Luzern 1981.

Szadrowsky, H. : Die Musik und die tonerzeugenden Instrumente der Alpenbewohner. In: Jahrbuch des SAC 4, 1867 / 68.

Tunger, A.: Appenzeller Kuhreihen, in SAVk 93, 1997, 169-198

Tunger, A.: Appenzeller Kuhreihen. Erkenntnisse - Beobachtungen - Fragen. In: "Innerrhoder Geschichtsfreund", 39. Heft 1998, Historischer Verein, 9050 Appenzell / Druckerei Appenzeller Volksfreund, admin@dav.ch

 

Weiterführende Literatur finden Sie in der ausführlichen Bibliographie in:

Bachmann - Geiser, B. : Die Volksmusikinstrumente der Schweiz. Handbuch der europäischen Volksmusikinstrumente, Serie I, Bd.4. Leipzig 1981



Copyright © 2001 by "TRITONUS": Urs Klauser & Beat Wolf, CH- 9055 Bühler; sw-Fotos: Dieter Langhart, Ch 9500 Frauenfeld; Farbiges Coverbild: Ruedi Küenzi, CH-8252 Schlatt